Die Bedeutung der Wortbetonung

Warum ist die Betonung der „richtigen“ Silbe in der lateinischen Aussprache so essenziell? Eine (wichtige) Antwort lautet: Im Lateinischen kann der Wortakzent konstitutiv im Hinblick auf die Bedeutung eines Wortes sein, d.h. dass gleich geschriebene Wörter durch die Betonung einer anderen Silbe eine gänzlich andere Bedeutung erlangen können. Im Deutschen gibt es ebenfalls Beispiele, bei denen der Wortakzent einen Unterschied in der Bedeutung hervorruft. Prinzipiell ist der Wortakzent im Deutschen jedoch frei, d.h. er kann potentiell jede (!) Silbe bekleiden. Im Lateinischen dagegen ist es zum Beispiel systematisch unmöglich, die letzte Silbe (vgl. Paenultima-Regel) zu betonen: Die Betonung der Endsilbe wie bei dem Wort „Bäcker'ei “ wäre im Lateinischen undenkbar.

Um das bedeutungsunterscheidende Potential des Wortakzents zu veranschaulichen, möchten wir zwei Beispiele des Deutschen anführen:

'umfahren vs. um'fahren

  • Der Fahrlehrer zum Fahrschüler: "Du sollst das Schild nicht umfahren!"
  • Pascal hat den Stau umfahren können.

'umstellen vs. um'stellen

  • Die Lehrerin hat die Tische umstellen müssen.
  • Die Polizisten haben den Tatverdächtigen umstellen können.

In gleicher Weise verhält es sich im Lateinischen: So kann ítaque- mit dem Wortakzent auf dem ersten Vokal (i) „und so“ bedeuten (grammatisch handelt es sich dann um einen einfachen Konjunktor), mit dem Wortakzent auf dem zweiten Vokal (a) hingegen heißt es „deshalb“ (grammatisch ein Konjunktionaladverb bzw. Adverb-Partikel-Junktor). Der Wortakzent kann also zur semantischen Ausdifferenzierung genutzt werden.

Dieses Beispiel illustriert nicht nur den Phänomenbereich der Bedeutungsverschiebung durch einen Wortakzent, sondern stößt uns in Bezug auf die Paenultima-Regel an die Grenzen der Norm. Offensichtlich weicht die Wortbetonung von der oben erläuterten Regel ab und stellt ein Sonderfall dar. Folgen wir den Vorgaben der Paenultima-Regel, handelt es sich um ein dreisilbiges Wort. Da die letzte Silbe nie betont werden kann und die vorletzte Silbe kurz ist, rückt der Wortakzent auf die erste Silbe, das i. So kämen wir zu der ersten Variante ítaque als die „korrekte“ Betonung. Nun hat sich neben dieser Form eine weitere etabliert, die sich von dieser Regularität abhebt und entgegen der Paenultima-Regel die vorletzte Silbe trotz ihrer Kürze betont.

  • ítaque – und so
  • itáque – deshalb