Lautlehre
In der historisierenden Aussprache des Lateinischen gibt es zahlreiche Laute, deren Aussprache von der Aussprache des Deutschen und der humanistischen Aussprache des Lateinischen abweicht. Im Folgenden finden Sie eine Auflistung dieser lautlichen Abweichungen, jeweils mit einer Beschreibung der entsprechenden Laute und exemplarischen Audioaufnahmen zu ihrer korrekten Aussprache.
Für weitere Informationen zur Lautlehre sei hier auf das Standardwerk Vox Latina von W.S. Allen verwiesen (s. dazu die Bibliographie).
Vorab: Doppelkonsonanten
Doppelkonsonanten werden im Lateinischen immer doppelt ausgesprochen. Man könnte also sagen, dass man genau das liest, was das Schriftbild nahelegt.
Im Deutschen hingegen signalisiert ein Doppelkonsonant i.d.R. eine Kürzung des voranstehenden Vokals: Vergleichen Sie die Länge des Vokals in den Wörtern „Mut“ vs. „Mutter“. Im ersten Fall wird der Vokal lang, im zweiten kurz realisiert. Der Konsonant selbst wird allerdings – sei es in einfacher oder doppelter schriftlicher Ausführung – nur einmal verlautet. Im Lateinischen müssen Doppelkonsonanten tatsächlich lautlich doppelt umgesetzt werden, sodass durch sie gebildete Positionslängen – wie etwa bei esse – deutlich zu hören sind.
Diphthonge: ae - eu - oe -
Bei einem Diphthong handelt es sich um einen Doppellaut aus zwei verschiedenen Vokalen innerhalb einer einzigen Silbe. Im Folgenden werden die von der deutschen Aussprache abweichenden Diphthonge ae [ai], eu [eu], oe [oi] vorgestellt.
Diphthong < ae >
- [ai] wie deutsch 'Hai'
- Beispiele:
- divitiae
- aeternus
- praemium
Diphthong < eu >
- getrennt: e-u
- nicht wie deutsch 'euer'
- sondern wie italienisch / spanisch 'Europa'
- Beispiel:
- seu
Diphthong < oe >
- [oi] wie im deutschen Wort 'Eule'
- Beispiele:
- amoenus
- proelium
Unbehauchte Konsonanten: - c - p - t -
Die unbehauchten Konsonanten c, p, t werden wie in den romanischen Sprachen unaspiriert gesprochen. Sie rücken damit lautlich näher an g, b, d heran. Ob Sie die entsprechenden Plosive im Gegensatz zum Deutschen unbehaucht sprechen, können Sie mit Hilfe des Handrückentests überprüfen: Führen Sie dazu Ihren Handrücken an die Unterkante Ihrer Lippen. Sprechen Sie die Plosive k, p, t wie im Deutschen, beispielsweise die genannten Laute in „Kunst, Polen, Tanz“. Sie werden einen relativ starken Luftstoß auf Ihrem Handrücken spüren. Nun versuchen Sie, diesen Luftstoß zu reduzieren; also die Behauchung sukzessive aufzuheben. Verschieben Sie die Laute hierzu in Richtung ihrer stimmhaften Varianten: Wandern Sie in Richtung g, b, d. Sie werden spüren, wie kaum noch Luft gegen Ihren Handrücken stößt. Insgesamt fällt es Sprechern des Deutschen schwer, diesen für die deutsche Sprache charakteristischen Luftstoß abzulösen. Sowohl unsere Laut- wie auch Silbenfolgen legen hier intuitiv Luftstöße und Pausierungen nahe. Die romanischen Sprachen fordern allerdings eine flüssigere, schnellere Realisierung der Lautfolgen ohne starke Luftströme.
< c >
- nicht wie deutsch 'Kuckuck'
- Beispiele:
- curia
- consul
- ecce
< p >
- erklärbar im deutschen Phonetiksystem durch eine Annäherung an sein stimmhaftes Pendant <b>
- Beispiele:
- pius
- cupido
< t >
- erklärbar im deutschen Phonetiksystem durch eine Annäherung an sein stimmhaftes Pendant <d>
- Beispiele:
- telum
- statura
Behauchte Konsonanten: - ch - ph - th -
Behauchte (aspirierte) Konsonanten stellen ch, ph, th dar. In der lateinischen Schriftsprache werden ch, ph und th erst seit Mitte des 2. Jh. v. Chr. vorwiegend in griechischen Namen und Lehnwörtern benutzt, seit Ende des 2. Jh. auch in – ursprünglich nicht aspirierten – lateinischen Wörtern. In gebildeten Kreisen der klassischen Zeit wurde die Aussprache der Phoneme ch, ph und th in griechischen Fremd- bzw. Lehnwörtern ebenfalls an die griechische Aussprache angelehnt und aspiriert realisiert.
< ch >
- behauchtes [kh], wie im deutschen 'Backe'
- Beispiel:
- charta
< ph >
- behauchtes [ph], wie im deutschen 'Pollen'
- Beispiel:
- triumphus
< th >
- behauchtes [th], wie im deutschen 'Theater'
- Beispiel:
- thermae
- gn -
Die Folge gn wird wie [ngn] gesprochen.
< gn >
- [j] wie im Englischen 'hangnail'
- Beispiel:
- ignoscere
- i -
i wird als Halbkonsonant [j] gesprochen, wenn es am Wortanfang vor einem Vokal steht. Intervokalisches i wird als verdoppelter Halbkonsonant [jj] gesprochen. Zwischen Konsonant und Vokal bleibt i hingegen ein normaler Vokal, wobei die Komposita eine Ausnahme bilden (z. B. quoniam).
< i > + Vokal
- [j] wie im Deutschen 'Junior'
- Beispiele:
- iurare
- iam
< i > intervokalisch
- [i] wie im Englischen [yy]
- Beispiel:
- maior
< i > + Konsonant
- [i] wie im Deutschen 'trinken'
- Beispiel:
- patientia
- l -
l wird vor Konsonanten und am Wortende als „dunkles“ bzw. velares [l] wie im Englischen ‚hill‘ ausgesprochen. In allen anderen Fällen wird l als „helles“ bzw. palatales [l] wie im Deutschen ‚hell‘ ausgesprochen.
< l > am Wortende
- velares [l], wie l im Englischen 'hill'
- Beispiel:
- sol
< l > vor Konsonant
- velares [l], wie l im Englischen 'hill'
- Beispiele:
- vulgare
- ultimus
< ll > doppeltes l
- velares [l] + helles [l]
- erstes l wie im Englischen 'hill'
- zweites l wie im Deutschen 'hell'
- Beispiele:
- mollis
- sollicitare
- qu -
qu setzte sich aus einem [k] und gleichzeitiger Rundung und Vorstülpung der Lippen wie beim Englischen w in water [kw] zusammen. Das [w] wurde relativ schwach wahrgenommen, da sich sonst die orthographische Schwierigkeit, ob man c oder qu schreibt, nicht erklären lässt. Es wird nur ein einziger Lautwert realisiert.
< qu >
- [kw] wie im Englischen 'quiet'
- Beispiele:
- quia
- uterque
- quisquis
- r -
Der Konsonant r wird im Lateinischen als Zungenspitzen-r artikuliert – genauso wie z.B. im Italienischen und Spanischen. Die Zungenspitze bewegt sich bei einem gerollten r am Zahndamm entlang, genauer gesagt zwischen den Punkten am Zahndamm, an denen die Laute [t] und [d] gebildet werden.
< r >
- nicht wie im Englischen
- Beispiele:
- soror
- ruina
< rr >
- gerolltes [r] in doppelter Realisierung
- Beispiel:
- errare
- s - z -
Der Konsonant s liest sich – anders als im Deutschen – immer stimmlos, egal in welcher phonetischen Umgebung es auftritt. z wird hingegen als stimmhaftes s, wie im Englischen zone, und zwischen Vokalen als ein doppeltes stimmhaftes s gesprochen, wie in Amāzōn.
< s >
- scharfes s, wie in deutsch 'muss'
- Beispiel:
- scelestus
< ss >
- langes scharfes s, wie in deutsch 'prasseln'
- Beispiele:
- posse
- assiduus
- v -
Eine weitere Abweichung findet sich bei v, das vor Vokalen wie das v als Halbkonsonant [w] gesprochen wird, so etwa im Englischen water.
< v >
- [w] wie im Englischen 'when' oder 'was'
- Beispiel:
- avaritia