Prosa lesen
Verse und Prosa werden grundsätzlich genau gleich gelesen. In Versen entsteht durch ihre metrische Gestaltung eine vom geschulten Ohr hör- und antizipierbare rhythmische Regelmäßigkeit in der Abfolge langer und kurzer Silben. Doch auch Prosaautoren machen sich rhythmische Effekte zunutze. Beispielhaft können die Satzschlüsse in Reden Ciceros angeführt werden, die sog. clausulae. Betrachten wir dazu folgende berühmte Passage mit den über dem Text eingetragenen Silbenquantitäten:
Die jeweils letzten 5–6 Silben eines Satzes bilden metrische Verbindungen, die sich bei Cicero sehr häufig an dieser Stelle finden und offensichtlich den Satz „zur Ruhe kommen“ lassen.
In den ersten beiden Sätzen werden rasche, daktylisch anmutende Rhythmen, die dem Ausdruck der Empörung dienen, im Schlussteil durch den starken, regulierten Einsatz von Längen aufgefangen. Der besonders symmetrische Schluss unterstützt das noch. In der Kunstprosa können sich also Quantitäten im Satz ungehindert und inhaltsangemessen entfalten. Regelmäßigkeit und ein annähernd an Dichtung erinnernder Klang tritt erst gegen Ende der Sätze ein. Denken Sie dabei an eine vergleichbare Regelmäßigkeit im Hexameter, die dort durch das finale Aufeinanderfallen von Wortakzent und schwerer Taktzeit entsteht!
In der nun folgenden Übung geht es darum, ein anderes Beispiel ciceronianischer Kunstprosa so zu lesen, dass seine besondere rhythmische Gestaltung zu Gehör kommt.