Übung zum Prosa Lesen
Anhand eines konkreten Beispiels aus Ciceros Rede für den Dichter Archias möchten wir im Folgenden das eigenständige Sprechen von Prosatexten einüben. Analog zu der Übung im Bereich „Verse lesen“ besteht das Ziel dieser Übung ebenfalls darin, eine Lesefassung zu erstellen, in der lange Vokale und Wortakzente vermerkt sind. Während für das sprechende Lesen zunächst die Vokalquantitäten im Vordergrund stehen, betrachten wir im Verlauf der Übung aber auch die Silbenquantitäten, um die besonderen rhythmischen Qualitäten des Textes herauszuarbeiten.
Schritt 1
Laden Sie sich hier das Textblatt herunter und drucken es aus. Markieren Sie dann jeweils die langen Vokale mit einem Makron (¯)!
quodsi haec vox huius hortatu praeceptisque confirmata
nonnullis aliquando saluti fuit, a quo id accepimus quo ceteris
opitulari et alios servare possemus, huic profecto ipsi, quantum
est situm in nobis, et opem et salute ferre debemus.
(Cic. Arch. 1,1)
Schritt 2
Überprüfen Sie die eingetragenen Längen!
quodsī haec vōx huius hortātū praeceptīsque cōnfirmāta
nōnnūllīs aliquandō salūtī fuit, ā quō id accēpimus, quō cēterīs
opitulārī et aliōs servāre possēmus, huic profectō ipsī, quantum
est situm in nōbīs, et opem et salūtem ferre dēbēmus.
(Cic. Arch. 1,1)
Schritt 3
Tragen Sie die Wortakzente ein (denken Sie dabei an die Paenultima-Regel)!
Schritt 4
Überprüfen Sie die Wortakzente!
quódsī haec vōx húius hortā́tū praecéptīsque cōnfirmā́ta
nōnnū́llīs aliquándō salū́tī fúit, ā quō id accḗpimus, quō cḗterīs
opitulā́rī et áliōs servā́re possḗmus, huic proféctō ípsī, quántum
est situm in nṓbīs, et ópem et salū́tem férre dēbḗmus.
(Cic. Arch. 1,1)
Schritt 5
Sprechen Sie den Text. Machen Sie keine Pausen, sondern üben Sie so lange, bis Sie die vier Zeilen an einem Stück lesen können. Ignorieren Sie also auch die Satzzeichen. Um Ihnen die Artikulation von Lautketten zu erleichtern, können Sie die folgende Visualisierung nutzen:
quódsīhaecvōxhúiushortā́tūpraecéptīsquecōnfirmā́tanōnnū́llīsaliquándōsalū́tīfúit, āquōidaccḗpimus,
quōcḗterīsopitulā́rīetáliōsservā́repossḗmus, huicproféctōípsī, quántumestsituminnṓbīs,
Schritt 6
Hören Sie sich die Musterlösung an und sprechen sie nochmals nach.
Wenn ihre Artikulation nicht der Musterlösung gleicht, wiederholen Sie die Übung so lange, bis das Ergebnis stimmt. Wenn Sie den Eindruck haben, dass Ihr Text nicht so rhythmisch klingt, dann könnte es daran liegen, dass Sie die Quantitäten nicht stark genug differenzieren. Üben Sie so lange weiter, bis Sie beim eigenen quantitierenden Lesen des Satzes einen Rhythmus heraushören können!
Mit der bemerkenswerten rhythmischen Gestaltung des Textes befassen wir uns in den nächsten Schritten.
Schritt 7
Vergleichen Sie die Rhythmik des Schlusses des mit a quo... eingeleiteten Relativsatzes mit dem Schluss seines korrelierten Demonstrativsatzes; konkret:
... et aliōs servāre possēmus, …
... et salūtem ferre dēbēmus.
Nehmen Sie hierzu eine Skansion nach langen und kurzen Silben vor. Vergleichen Sie auf der nächsten Seite Ihr Ergebnis mit der Musterlösung.
Lösung Schritt 7
Ihr Ergebnis sollte so aussehen:
Dieses Ergebnis lässt sich aus einer rhythmischen Perspektive dahingehend präzisieren, dass die Schlusssilben der beiden Klauseln durch den syntaktischen Einschnitt und das kurze Verharren im Vortrag, das jeweils folgt, gelängt wird:
Die letzten sieben Silben sind nach einem exakt parallelen Quantitätenmuster gestaltet (– – – v – – –). Wenn Sie darüber hinaus bedenken, dass in der antiken Skansion zwei Kürzen einer Länge entsprechen, dann entsprechen die beiden kurzen Silben zu Beginn der ersten Klausel der einzelnen langen Silbe der zweiten Klausel. Somit sind die beiden Satzschlüsse rhythmisch vollständig parallel strukturiert. Vergleichbare Symmetrieeffekte finden sich aber auch in der Mitte des Satzes, wie wir im nächsten Schritt sehen werden.
Schritt 8
Skandieren Sie die Satzmitte …
… quō cēterīs opitulārī et aliōs servāre possēmus …
… nach langen und kurzen Silben und vergleichen Sie ihr Ergebnis mit der Musterlösung auf der nächsten Seite!
Lösung Schritt 8
Das Ergebnis sieht so aus:
In diesem Textabschnitt treten bemerkenswerte, sich überschneidende Symmetrien auf. Erstens in der Mitte:
Zweitens am Ende in den letzten sieben Silben, die wir zuvor bereits in den Blick genommen haben:
Weiter geht es im nächsten Schritt!
Schritt 9
Lesen Sie nun einmal diesen Satz von Anfang bis saluti fuit unter genauer Berücksichtigung von Längen und Wortakzent:
quódsī haec vōx húius hortā́tū praecéptīsque cōnfirmā́ta
nōnnū́llīs aliquándō salū́tī fúit, ā quō id accḗpimus, quō cḗterīs
opitulā́rī et áliōs servā́re possḗmus, huic proféctō ípsī, quántum
est situm in nṓbīs, et ópem et salū́tem férre dēbḗm
Hier sollte Ihnen auffallen, wie überproportional die langen Silben vertreten sind:
Der Satz strömt dahin. Wenn Sie weiterlesen, stellen Sie fest, dass gegen die Mitte die Zahl der Kürzen zwar zunimmt, aber in den Abschlüssen der Nebensätze immer wieder durch Längen aufgefangen wird, bis er in salutem ferre dēbēmus zur Ruhe kommt, das sein syntaktisches Pendant aliōs servāre possēmus kopiert. Der Satz kombiniert also eine Variation verschiedener rhythmischer Tempi, sorgt aber an Einschnittstellen für Harmonisierung der Rhythmen. Er ist ein gutes Beispiel für Ciceros meisterliche Wortführung.
Hören Sie den Satz noch einmal an. Am besten lernen Sie ihn gleich auswendig!