Die Iktus-Frage: Einführung
Wie wir oben bereits gesehen haben, unterscheidet die lateinische Sprache wie das Deutsche unterschiedliche Vokalquantitäten. Im Gegensatz zum Deutschen differenziert sie zusätzlich aber auch zwischen langen und kurzen Silben. Lange Zeit hat sich im Lateinunterricht das sog. iktierende Lesen von Dichtung durchgesetzt, das in einer sprachhistorischen Perspektive die korrekte Artikulation des Lateinischen verzerrt. Diese Verzerrung kommt dadurch zustande, dass das iktierende Lesen von Versen regelmäßig die lateinsiche Wortbetonung nach der Paenultima-Regel verletzt.
Nun könnten Sie sich erwidernd wundern: „Es wird wohl seinen Grund haben, dass der Iktus so lange die Orientierungsgröße für das Sprechen von Versen darstellte.“ Das Problem besteht allerdings im Folgenden: Der Iktus ist per se lediglich die Betonung der schweren Taktzeit – also ein Schlag – wie ein Instrument, das einen Takt angibt, wobei die einzelnen Versfüße die Takteinheiten sind. Der Iktus ist also rein mechanischer Natur und steht in keiner Verbindung zu Akzenten bzw. der Stimme. Als man nicht mehr in der Lage war, den Rhythmus von Versen auf der Basis von Quantitäten zu verstehen, nutzte man den Iktus, um den lautlichen Verlauf der Dichtung von dem der Prosa zu unterscheiden. Also wurde der Iktus zu einer metrischen Akzentuierung, die dazu dienen sollte, bestimmte Verselemente anderen gegenüber hervorzuheben. Im Zuge dessen hat der Iktus den Status einer Betonung erhalten. Dadurch, dass er als Betonung angesehen wurde, wurde der natürliche Wortakzent eines jeden Wortes ignoriert. Dabei führt der Iktus nach deutscher Logik zu einer falschen Betonung.
Besipiele für den historischen Übergang der quantitierenden hin zu einer akzentuierenden Metrik finden Sie auf der nächsten Seite!