Tutorium Augustanum
Voraussetzungen und Anforderungen
Die Tatsache, dass die moderne europäisch-westliche Kultur aus einem ständigen Rückbezug auf die Antike hervorgegangen ist, hat eine bedeutsame Konsequenz für das Studium der Alten Geschichte: Im Gegensatz zu Mittelalterlicher und Neuerer Geschichte ist die Alte Geschichte nicht nationalisierbar, sondern in ihrer Gesamtheit gemeinsames Erbe aller westlich orientierten Gesellschaften. Während daher in den anderen Epochendisziplinen Forschung und Lehre in der Praxis vielfach auf die Geschichte des eigenen geographischen Raumes beschränkt sind, trifft das auf die Alte Geschichte keineswegs zu. Natürlich gibt es auch im Bereich der mittelalterlichen und neueren Geschichte Überschneidungsbereiche, in denen Geschichte wirklich international erforscht wird (z. B. Papst- und Kirchengeschichte, Geschichte der Kreuzzüge, Weltkriege usw.), die Regel ist es aber nicht: Ein englischer Mediävist wird sich eher den Rosenkriegen als dem "deutschen" Investiturstreit zuwenden, einem französischen Historiker wird die innere Entwicklung Frankreichs im 19. Jh. wichtiger sein als die gleichzeitige Ausbildung eines deutschen Nationalstaats. In verschärfter Form gilt dies natürlich für die Regional- und Landesgeschichte. Die Vorlesungsverzeichnisse der Universitäten ebenso wie die Aufgabenstellungen in den Staatsprüfungen und die Lehrpläne der weiterführenden Schulen spiegeln diese Situation. Anders in der Alten Geschichte: Hier besteht prinzipiell kein unterschiedliches Erkenntnisinteresse zwischen einem Historiker in Australien und in Russland. Die Erforschung der Alten Welt ist eben gemeinsames Erbe, Gegenstand, Quellen und Methoden für alle gleich.
Allerdings ist die Beschäftigung mit der Antike Teil eines alteuropäischen Traditionsbestandes, dessen kulturelle Hegemonie in den USA, aber auch den Ländern Europas, die eine starke Einwanderungstradition aufweisen, zunehmend in Frage gestellt wird. Der Anspruch auf normative "Klassizität", den die Altertumswissenschaften lange Zeite erhoben, wird ihnen heute kaum noch zuerkannt. Andererseits hat das antike Erbe in Europa und im Mittelmeerraum gerade deshalb, weil es nicht den seit dem 7. Jh. entstandenen religiösen, kulturellen und politischen Grenzen folgt, eigentlich ein großes verbindendes Potential. Ob es gelingt, dieses Potential zu heben, wird darüber entscheiden, ob die Erforschung der Antike weiterhin als gesellschaftlich relevant wahrgenommen wird.
Das alles hört sich vielversprechend an und ist es auch, hat aber für den Studierenden zwei unangenehme Konsequenzen: Zum einen erfordert die Alte Geschichte Kenntnisse eines großen und teilweise weit entfernten geographischen Raumes. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass bei vielen Studierenden die Vorstellung von den Gebieten Osteuropas und vor allem des Nahen und Mittleren Ostens eine sehr vage ist. Ein wirkliches Gespür für die topographischen, ökologischen und klimatischen Bedingungen, unter denen sich die griechisch-römische Kulturwelt entwickelte kann man eigentlich ohnehin nur durch Reisen erwerben.
In der Studienpraxis noch problematischer sind aber die hohen Anforderungen an Sprachkenntnisse, welche die Alte Geschichte stellt. Die meisten Studierenden denken hier zunächst an Latein und Griechisch, und das zu Recht, weil dies die Sprachen unserer wichtigsten Quellen sind. An alten Sprachen wären aber auch Hebräisch, Aramäisch, Ägyptisch und Punisch zu nennen - Sprachqualifikationen, die freilich auch bei kaum einem professionellen Althistoriker zu finden sind. Was aber oft übersehen wird, ist die aus der Internationalität des Faches folgende Notwendigkeit, Sekundärliteratur in vielen modernen Sprachen lesen zu müssen. Englisch sollte für einen Althistoriker nicht als Fremdsprache gelten, denn der quantitativ bedeutsamste Teil der Neupublikationen erscheint auch in seinem Fach in dieser Sprache. Ebenso unverzichtbar ist jedoch an sich auch ein Leseverständnis des Französischen, Italienischen und Spanischen; hinzu kommen in deutlich geringerem Maße Portugiesisch, Niederländisch, Russisch usw. Leider genügen selbst da, wo in der Schule Französisch gelernt wurde, die praktischen Fertigkeiten oft nicht zur Lektüre anspruchsvoller Sachtexte. Aus der Sicht der akademischen Forschung und Lehre rächt sich hier die Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts auf vermeintliche Praxistauglichkeit, d. h. der Vorrang aktiver Sprachkompetenz auf eher niedrigem Textniveau. Wer die genannten Sprachen aber nicht rezipieren kann, dem bleiben wichtige Teilbereiche der Alten Geschichte verschlossen. Ferner ist ihm die Nutzung hervorragender Hilfsmittel und Standarddarstellungen verwehrt.
Eine Beschränkung des Studiums der Alten Geschichte ausschließlich auf die deutsche Sekundärliteratur ist heute nicht mehr möglich. Sie sollten mindestens in der Lage sein, englische Texte flüssig zu lesen. Wenn Sie an der Schule Französisch gelernt haben, sollten Sie ebenfalls unbedingt versuchen, Ihre Lesefähigkeit zu trainieren. Das ist zunächst ein mühsames Unterfangen, das umso leichter fällt, je besser die lateinischen Wortschatzkenntnisse sind. Davon abgesehen gilt es, sich durchzubeißen. Wenn auch das erste Buch noch schwer fällt, so wird die Lektüre des zweiten schon wesentlich leichter sein.
Wer seine altsprachlichen Kenntnisse aufpolieren möchte, sollte sich die folgenden Angebote etwas näher ansehen:
- Ancient Greek Tutorials: http://atticgreek.org.
Enthält Vokabel- und Grammatikübungen; ursprünglich auf Donald Mastronardes exzellente Introduction into Attic Greek abgestimmt. - TEXTKIT: http://www.textkit.com.
Lehrbücher, Grammatiken und Schulausgaben älteren Datums zum Download.
Einige ältere, aber immer noch hilfreiche Lexika sind mittlerweile im Rahmen von Zeno.org frei verfügbar:
- Georges, Karl Ernst: Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Hannover 1913/1918 (8. Aufl.) - http://www.zeno.org/Georges-1913
- Pape, Wilhelm: Handwörterbuch der griechischen Sprache. Griechisch-deutsches Handwörterbuch, Braunschweig 1880 (3. überarb. Aufl.) - http://www.zeno.org/Pape-1880
Die Benutzung des „alten“ Georges wurde durch den Satz in Frakturschrift (dies gilt freilich nicht für die elektronischen Varianten!) und die heute altertümlich anmutende Sprache erschwert. Der „neue“ Georges bietet einen behutsam aktualisierten Neusatz:
Georges, Karl Ernst/Baier, Thomas: Der neue Georges. Ausführliches Handwörterbuch Lateinisch-Deutsch, Darmstadt 2013.
Für eingehendere philologische Untersuchungen sind die folgenden Standardlexika zu benutzen.
- Liddell, Henry G./Scott, Robert/Jones, Henry S.: A Greek-English lexicon, Oxford 1940 (9. erg. Aufl.). [LSJ]
Verfügbar unter https://archive.org/details/b31364949_0001 bzw. https://archive.org/details/b31364949_0002. Im Rahmen des Perseus Project (http://www.perseus.tufts.edu) digitalisiert. Diese Daten wurden an weitere Internetplattformen lizenziert und können dort unter alternativen und teilweise besseren Oberflächen durchsucht werden (z. B. http://philolog.us, http://www.tlg.uci.edu/lsj oder http://logeion.uchicago.edu). In den elektronischen Daten dieser Projekte wurden auch etliche Druckfehler beseitigt sowie teilweise Verlinkungen der Belegstellen zu Volltextdatenbankenrealisiert. Ergänzend zum gedruckten Hauptband ist ein Supplementband zu konsultieren (aktuellste Auflage von 1996). - Diggle, James (Hg.): The Cambridge Greek lexicon, Cambridge 2021.
Bietet keinen Ersatz für LSJ, da zwar Autoren genannt, aber keine genauen Stellennachweise gegeben werden. Die Nachverfolgung gestaltet sich also schwierig. Zudem ist die Zahl der Einträge gegenüber LSJ stark reduziert. Als Handlexikon zum Übersetzen ist das Werk aber derzeit erste Wahl. Anders als der betagte LSJ entspricht es auch modernen sprachwissenschaftlichen Prinzipien. Für die Forschungsarbeit empfiehlt sich daher eine Parallelbenutzung beider Lexika. - Lampe, Geoffrey W. H.: A Patristic Greek lexicon, Oxford 1961.
Ergänzt LSJ, da dort das patristische Griechisch keine Berücksichtigung fand. - Adrados, Francisco R.: Diccionario Griego-Español, Madrid 1980-. [DGE]
Erschienen sind bisher die Bände I-VII (derzeit letztes Lemma ἔξαυος), der erste Band bereits in einer zweiten, überarbeiteten und erweiterten, Auflage. Wird zukünftig LSJ als philologisches Standardlexikon ablösen, zumal auch das mykenische und patristische Griechisch Berücksichtigung finden. Das Lexikon ist online unter http://dge.cchs.csic.es/xdge verfügbar. - Montanari, Franco: Wörterbuch Griechisch-Deutsch, Deutsche Ausgabe hg. v. Michael Meier-Brügger und Paul Dräger, Berlin/New York, angekündigt für April 2022.
Bereits 2014 erschien eine Übersetzung des italienischen Originalwerks (Vocabolario della lingua greca, Turin 2013) ins Englische, die unter http://dictionaries.brillonline.com/montanari auch in elektronischer Form verfügbar ist (lizenzpflichtig). In diese Online-Version werden auch laufend neue Artikel eingepflegt. - Lewis, Charlton T./Short, Charles: A Latin dictionary, Oxford 1879. [L&S]
Im Rahmen des Perseus Project (http://www.perseus.tufts.edu) benutzbar, ebenso wie über die zu LSJ genannten Internetseiten. - Glare, Peter G. W.: Oxford Latin dictionary, Oxford 1996 (korr. Aufl.). [OLD]
Ersetzt für vorklassische und klassische Autoren, nicht aber für die nachklassische Literatur L&S, denn nach 200 n. Chr. entstandene Werke werden im OLD nur in Ausnahmefällen berücksichtigt. - Thesaurus Linguae Latinae [ThLL]
Einsprachige Dokumentation des gesamten lateinischen Wortschatzes. Weite Teile des Werkes stehen unter https://thesaurus.badw.de/tll-digital/tll-open-access.html frei zur Benutzung. Als durchsuchbare Datenbank auch online unter www.degruyter.com/db/tll verfügbar (lizenzpflichtig).
Die im Rahmen des Perseus Project geschaffenen Ressourcen an Lexika und Volltexten bündelt ΛΟΓΕΙΟΝ (http://logeion.uchicago.edu): Die Suche nach einem griechischen oder lateinischen Begriff erbringt hier nicht nur die einschlägigen Lexikoneinträge, sondern auch Verwendungsbeispiele aus dem Corpus der Volltexte.
Vollständiger erschließt das philologische Instrumentarium das vorzügliche Hilfsbuch für Studierende der griechischen und lateinischen Philologie unter http://www.hilfsbuch.de.