Tutorium Augustanum
Sammlungs- und Lesephase
Nun beginnt die Sammlung speziellerer Informationen. Das Bibliographieren sollte zu einer möglichst vollständigen Erfassung wenigstens der neueren Forschungsliteratur führen. Die so erfasste Literatur bearbeiten Sie am besten rekursiv, beginnen also mit den neuesten Titeln und natürlich denjenigen, die möglichst passgenau Ihr Thema bearbeiten. Besonders hilfreich sind oft auch wissenschaftliche Qualifikationsarbeiten wie Dissertationen und Habilitationen, da sie in der Regel auf Vollständigkeit der Materialbehandlung zielen und einen Forschungsüberblick bieten. Um abschätzen zu können, ob eine dicke Monographie die Lektüre lohnt, dient neben einem Blick in Inhaltsverzeichnis und Einleitung auch die Konsultation von Rezensionen. Diese geben in kompakter Form Einblick in Inhalt und wissenschaftlichen Ertrag einer Publikation. Bei Aufsätzen helfen oft die Abstracts in der APh weiter. Im Allgemeinen bewährt es sich, zunächst anhand einiger zentraler Arbeiten ein Grundexzerpt anzulegen und die weitere Literatur dann bei abweichenden Meinungen als Anmerkungen einzuarbeiten. Sie werden sehen, dass sich spätestens ab dem vierten gelesenen Aufsatz die Zahl der wirklich neuen Argumente und Quellen in Grenzen hält. Dann können Sie vermehrt zum "Diagonallesen" übergehen.
Zu Techniken des wissenschaftlichen Lesens:
Thieme, Sarah/Weiß, Jana: Lesen im Geschichtsstudium, Opladen/Toronto 2020.
Koch, Günther: Speed Reading fürs Studium, Paderborn 2015.
Wenn hier Sammlungs- und Ausarbeitungsphase idealtypisch getrennt behandelt werden, so ist dies in gewisser Weise auch einer heute überkommenen Konvention geschuldet. Die Möglichkeiten der modernen EDV erlauben es, ein Exzerpt fließend zu einem ausformulierten Text auszubauen. Auch können Sie Literaturnachweise gleich als Fußnote in das Exzerpt einfügen, so dass diesbezüglich später keine Arbeit mehr anfällt. Auch wenn bei einer solchen verschleifenden Arbeitsweise mitunter mehrere Überarbeitungen des Textes fällig werden, kann es psychologisch günstig sein, auf diese Weise niederschwellig in die Schreibphase überzugehen: Nichts ist kontraproduktiver als die schreibhemmende Angst vor dem leeren Bildschirm.
ACHTUNG!!! Denken Sie daran, Fernleihen rechtzeitig in die Wege zu leiten!
Während der Lektüre der Sekundärliteratur bauen Sie Ihre Quellensammlung weiter aus und streben hier in jedem Fall Vollständigkeit an. Spätestens im Hauptstudium sollten Sie wenigstens die wichtigsten literarischen Quellen soweit kennen, dass Sie wissen, wo etwas für Ihr Thema zu erwarten ist. Die einschlägigen Stellen lassen sich dann über die Indices der Ausgaben und Übersetzungen schnell lokalisieren. Als Wegweiser zu den Quellen kommt der RE nach wie vor grundlegende Bedeutung zu. Daneben können auch Datenbanken mit digitalisierten Volltexten, Münzen, Inschriften oder Papyri durchsucht werden. Die Quellen werden nach Maßgabe der historisch-kritischen Methode einer Wertung unterzogen. Kommentare bzw. kommentierte Corpora sind hier als Hilfsmittel von großer Bedeutung.
ACHTUNG!!!
Übernehmen Sie niemals in der Literatur vorgefundene Quellenbelege kritiklos ohne sie selbst nachzuprüfen. Erstens kommt man so nie zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur, und zweitens schleicht sich auch bei Quellenreferenzen immer wieder der Fehlerteufel ein. Schleppen Sie diese Fehler nicht weiter! Wenn Sie in den Quellen eine Inschrift aus älteren Editionen wie CIL, SIG oder ILS zitiert finden, kann es gut sein, dass mittlerweile eine Neuedition vorliegt. Über die epigraphischen Datenbanken bzw. CLAROS werden Sie schnell zu diesen Publikationen geführt. Analog ist bei Papyri vorzugehen. Hier hilft vor allem das HGV weiter.
Die Sammlungsphase sollte zu folgenden Ergebnissen führen:
- Grundexzerpt mit Notierung abweichender Forschungsmeinungen.
- Sammlung möglichst aller für das Thema relevanter Quellen.
Das wichtigste Ergebnis der Sammlungsphase sollte jedoch die Bildung und Festigung einer gemessen am Maßstab der Quellen fundierten eigenen Meinung sein.