Archäologie als Wissenschaft
Vor allem ab seiner zweiten Lebenshälfte hat Wahle ein verstärktes Interesse an der Geschichte der prähistorischen Archäologie entwickelt und dazu mehrere, teils umfangreiche Aufsätze verfasst, nachdem er das Thema schon zuvor wiederholt in Seminaren und Vorlesungen behandelt hatte. Über seine Motive hat er sich selbst nie erklärt, doch liegt es durchaus auf der Hand, dass jemand, der den Wandel seiner Wissenschaft, zumal vor dem Hintergrund mehrerer politischer Systeme, selbst erlebt hatte, sich der Geschichtlichkeit auch des Erkenntnisprozesses durchaus bewusst war. Allerdings hat sich Wahle mit diesem Aspekt nicht explizit befasst, ihm ging es vor allem um den historischen Standort seines Faches und um die Zeitgebundenheit bestimmter Schwerpunkte und Fragestellungen. Nach wie vor ein nützlicher Einstieg ist seine „Geschichte der prähistorischen Forschung“, die bezeichnenderweise bis heute nicht wirklich ersetzt ist. Es ging aber auch um Selbstvergewisserung und Legitimation durch Anciennität. Wie die 1934 veröffentlichte Arbeit eines seiner ersten Schüler (P.H. Stemmermann, Die Anfänge der deutschen Vorgeschichtsforschung. Deutschlands Bodenaltertümer in der Anschauung des 16. und 17. Jahrhunderts) zeigt, galt es offenbar, mit der akademisch längst etablierten, von Wahle wenig geschätzten Klassischen Archäologie gleichzuziehen.
Auch wenn seinen Arbeiten gewissermaßen die inhaltliche Klammer fehlt, behandelte er doch mehrfach das Verhältnis von Nationalstaat und Vorgeschichte; die Instrumentalisierung der Forschung war eines der Themen, die ihn beschäftigte. Über die selbst erlebte Forschung, deren Protagonisten er ja fast alle kannte, hat er sich leider nur wenig und wenn, dann sehr zurückhaltend geäußert. Dies betrifft naturgemäß auch das „Dritte Reich“; eine im Sommer-Semester 1947 gehaltene Vorlesung, die explizit diese Periode einbezog, dabei auch die konkurrierenden Machtapparate - Alfred Rosenbergs „Reichsbund für Deutsche Vorgeschichte“ und Heinrich Himmlers „Ahnenerbe“ - nicht aussparte, wurde nie zum druckfertigen Manuskript. Ganz abgesehen davon, dass das geistige Klima der Nachkriegsjahre einer Aufarbeitung nicht unbedingt förderlich war, kam hier sicherlich die hohe personellen Kontinuität nach 1945 erschwerend hinzu, zumal vor dem Hintergrund eines sehr kleinen Faches, das sich – auch dies ein allzu vertrautes Muster - in stillschweigendem Gruppenkonsens darauf verständigt hatte, die braune Ära im wesentlichen unbeschadet überstanden zu haben.
(Christian Gildhoff)