Tutorium Augustanum
Bibliographieren
Eine der wichtigsten Fähigkeiten des Historikers ist es, Sekundärliteratur zu seinem Thema aufzufinden. Die durchaus vorhandene, spezielle Kreativität des historischen Arbeitens besteht gerade in der kritischen Auseinandersetzung mit diesen Vorarbeiten, d. h. dem sogenannten "Forschungsstand". Forschung ist Diskurs, der sich manchmal mündlich (z. B. bei wissenschaftlichen Kongressen und Kolloquien), meist aber schriftlich (z. B. Monographie und darauf bezogene Rezension) vollzieht. Im Übrigen wäre es natürlich schon aus arbeitsökonomischen Gründen nicht sehr klug, das Rad stets neu erfinden zu wollen.
Sekundärliteratur haben Sie sicher auch schon für Referate in der Schule herangezogen. Der besondere wissenschaftliche Anspruch besteht darin, dass sie im Prinzip die gesamte für Ihr Thema verfügbare Literatur sichten und verarbeiten sollten. Ein solcher Anspruch ist angesichts der ständig wachsenden Flut an Publikationen freilich nicht mehr durchzuhalten. Sie sollten aber wenigstens die neuere Forschungsliteratur möglichst vollständig erfassen und lesen, um ein Bild über die aktuelle Forschungssituation zu erhalten, aus der sich die Schwerpunktsetzung Ihrer Seminararbeit ja ableiten sollte. (Es macht z. B. keinen Sinn, ausführlich eine These zu widerlegen, die niemand mehr ernsthaft vertritt. Sehr wohl würde es aber Sinn machen, diese These erneut gegen eine bestehende communis opinio der Forschung zu verteidigen.) Nur aufgrund einer profunden Kenntnis des Forschungsstandes können Sie den Neuigkeitswert Ihrer eigenen Beobachtungen an den Quellen einschätzen. Umgekehrt wird nun auch die Bedeutung der Quellenlektüre einsichtig: Wie wollen Sie ohne Kenntnis der Quellen die auf Sie einprasselnden, unterschiedlichen Forschungsmeinungen werten und gewichten?
Wie aber kommt man zu einer annähernd vollständigen Erfassung der für ein Thema relevanten Fachliteratur? Man bezeichnet diesen Vorgang als Bibliographieren und unterscheidet grundsätzlich zwei Herangehensweisen, die sich wechselseitig ergänzen: das unsystematische und das systematische Bibliographieren.